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  • revistamuguri

Die Stadt über den Wolken

Updated: Feb 3, 2021

Hoch oben, irgendwo über den Wolken gibt es eine verlassene Stadt. Sie schwebt in unermesslichen Höhen, über Abgründe, die das menschliche Auge wohl nie verstehen würde... und vor mehr als tausend Jahren hatte diese Stadt gelebt. In ihr und vielen anderen solchen Städten tobte das Leben, doch sie ist als einzige erhalten geblieben: ein verfallenes Kunstwerk, eine blaße Erinnerung an eine Zeit, die wir nur noch aus den Märchen unserer Vorfahren zu kennen glauben.

Währen des Volmonds glitzert manchmal auf dem sternklaren Himmel diese Stadt, doch viele können sie von den Sternen nicht unterscheiden. Sie glauben die Stadt wäre eine einsame Konstellation, die den Geschichten über Sterne das Leuchten raubt, seien sie auch Lichtjahre von der Erde entfernt. Von deren Leuchten können sie nur erzählen, dass es von weit käme. Sie sehen nicht, wie sich das Glitzern der Stadt von das der anderen unterscheidet, wie... Wie sollten sie es auch sehen, wenn sie kaum in den Himmel blickten?

Doch es ist sicher, dass irgendwo über den Wolken, eine Stadt einsam schwebt; eine Stadt mit metallenen Häusern mit bleiernen Toren und von bemalten Bäumen aus Beton umgeben. Gläserne Fenster mit Rahmen aus Kupfer lassen das Licht in den silbernen Räumen eindringen, eleuchten kalte Wände mit Verzierungen aus Gold und stachelige Teppiche aus bleierner Wolle. Riesige schwarze Bildschirme bedecken die wichtigsten Gebäude und geben den Straßen einen matten Schimmer. Man kann dieses während des Tages nicht sehen, doch nachts erleuchtet alles in Tausenden von Farben und es scheint, dass die Stadt wieder zum Leben erwachen würde.

Und doch saßen wir da und betrachteten den Himmel. Nach wenigen Minuten erlosch das seltsame Licht wieder und die kleine Versammlung in meinem Garten, woher man die Stadt am besten sehen konnte, schien sich aufzulösen. Alle setzten sich jedoch wieder aufs Gras, als sie das Knarren des Tores hörten. Die Holzdielen sagten seine Ankunft an. Seine Ankunft. Er kam nicht jedes Mal, er kam nur, wann es ihm beliebt war. Langsam humpelte er auf uns zu. Noch nie hatte er den dunklen Umhang, der auch sein Gesicht verdeckt, abgesetzt. Wir wusten fast nichts Genaues über ihn... wir kannten nichtmals seinen Namen. Wir wusten nur, dass er humpelt, dass seine leise Stimme uns wie ein Schleier bedeckt, der uns wie im Zauber auf die Bahn zieht, ein Zauber, dem wir nur entkommen können, wenn die Holzdielen am Tor sein Gehen ankündigen.

Er war von Anfang an da. Selbst meine Großeltern schienen sich an ihn erinnern zu können, an kleine Geschichtsfragmente, die sie jetzt mit einem Schulterzucken als Schwachsinn und Märchen abstempeln.

Doch dieses Mal, diese eine Nacht, schien etwas Anderes zu sein. Selbst mich packte die Furcht, ihn nach dieser Nacht nicht mehr zu erblicken. Ich versuchte jedes Detail zu erfassen, jede kleine Bewegung im Gedächtnis einzubrennen. Er atmete tief ein und zeigte auf die Bäume, die meinen Hof umgaben. Er bat uns in die Nacht zu lauschen und sprach nach einer kurzen Pause weiter. Da oben sei es sehr leise, meinte er, es gäbe seit langer Zeit kein Leben mehr, keine Zweige und Blätter, zu denen der Wind flüstern könnte, kein Gras auf das sich der Tau setzen könnte, kein Bach, der mit seinem Plätschern Geschichten erzählen könnte.

Er meinte auch, dass das Leben da oben nicht für lange Zeit möglich wäre, dass das Metall das Herz langsam erdrücken würde. Seine Worte waren mit Trauer erfüllt und er blickte immerzu in die Ferne, hoch oben über den Wolken. Er ermahnte uns, aufzupassen, welchem Heim wir unser Herz schenken würden und erhob sich. Er würde wieder nach Hause gehen, zu dem Ort, den sein Herz nie verlassen hätte.

Wir folgten ihm mit unserem Blick bis seine humpelnde Gestalt mit den Schatten verschmolz. Doch dieses Mal kündigten die Holzdielen sein Gehen nicht an. Das war das letzte Mal gewesen, als einer von uns ihn noch gesehen hatte.

Ich bezweifle, dass ihn noch jemand wieder gesehen hat und nach ein paar Monaten hörten selbst wir auf, mit den Blicken den Himmel nach einer verlassenen Stadt abzusuchen. Es gab sie, doch unser Herz mochte für immer in der kleinen Welt unter den Wolken bleiben.


Iulia Aldea, XIB



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